Elisabeth Corbière:
Basler Kameltreiber sind höflicher
«Da ist man verliebt und will mit dem Mann zusammen sein. Ausserdem findet man das alles am Anfang eher aufregend. Erst wenn man älter wird, merkt man, wieviel Arbeit eigentlich dahintersteckt.»
Elisabeth Corbière:
Basler Kameltreiber sind höflicher
«Da ist man verliebt und will mit dem Mann zusammen sein. Ausserdem findet man das alles am Anfang eher aufregend. Erst wenn man älter wird, merkt man, wieviel Arbeit eigentlich dahintersteckt.»
«Hopp, hopp, hopp – Nummere ais und Nummere foif – e chli Gas gää, so hopp jetzt, mach emool – nit so lahm!» – so tönt es, wenn Frau Corbière an ihrem Spielwagen mit dem Kamelrennen ihre Kunden in reinstem Züritütsch anfeuert. Das Mikrofon eng an den Mund haltend, beobachtet und kommentiert sie einerseits die laufenden Kamele, andererseits scheint ihrem Blick nichts von dem zu entgehen, was so alles vor dem Spielwagen abläuft.
Sie kennen das Kamelrennen (noch) nicht? Ganz einfach: An der Rückwand des nach vorne offenen Spielwagens sind übereinander 12 Bahnen mit je einer beweglichen Kamelfigur mit Reiter. Vorne am Wagen sind der Länge nach 12 Abteile abgetrennt, wo jeder Spieler für sich versucht, einen Ball auf einer schrägen Ebene in verschiedene Öffnungen zu werfen. Trifft er, so bewegt sich ‹sein› Kamel mit einer wiegenden Schaukelbewegung vorwärts und zwar um soviel Felder, wie die Öffnung Punkte hergibt. Wessen Kamel als erstes durchs Ziel geht, hat gewonnen. Selten spielt jemand allein, und oft zieht das Spektakel viele Zuschauer an. Das ist auch der Verdienst der Besitzerin, die das wilde Geschehen laufend wie ein Maschinengewehr kommentiert und dabei nicht an träfen Sprüchen spart. Dabei hatte sie am Anfang eine wahnsinnige Hemmschwelle, wie sie erzählt. Heute hingegen ist ihr das eigene Mundwerk manchmal zu vorlaut…
Elisabeth Corbière ist von ‹Privat› zur Schaustellerei gekommen. So werden von den Schaustellern selbst jene Leute bezeichnet, die nicht in einer Schaustellerfamilie aufwuchsen, sondern die erst im späteren Leben diesen Beruf ergreifen. ‹Private› werden sie deshalb genannt, weil für Schausteller Privatsphäre eher selten ist, da sie oft über längere Zeit auf engem Raum zusammenleben (müssen). Mit 18 lernte sie ihren ersten Mann, einen Schausteller, kennen und kam so auf die Kilbi und auf die Reise. Schwer ist ihr dieser Schritt nicht gefallen, oder wie sie es ausdrückt: «Da ist man verliebt und will mit dem Mann zusammen sein. Ausserdem findet man das alles am Anfang eher aufregend. Erst wenn man älter wird, merkt man, wieviel Arbeit eigentlich dahintersteckt. Es ist für jüngere Private sicher einfacher sich umzugewöhnen, als mit 40 zu sagen: Ich gebe jetzt alles auf, und ziehe 9 Monate im Jahr in einem Wohnwagen durch die Schweiz.»
Frauen, die von Privat in eine Schaustellerfamilie heiraten, haben es einfacher als Männer, die dasselbe tun. Als Frau ‹genügt› es, wirklich hart zu arbeiten und überall mitanzupacken, um anerkannt zu werden. Ein Mann hingegen muss doppelt soviel leisten wie ein Schausteller, und es kann dauern, bevor er wirklich in dieser Gemeinschaft akzeptiert wird. Dies kann für die jüngere Schausteller-Generation bei der Partnersuche ein grosses Problem sein.
«Da ist man verliebt und will mit dem Mann zusammen sein. Ausserdem findet man das alles am Anfang eher aufregend. Erst wenn man älter wird, merkt man, wieviel Arbeit eigentlich dahintersteckt.»
Apropos Beziehungen: Frau Corbière liess sich später scheiden, blieb aber der Kilbi und dem Wohnwagenleben treu. Auch ihr zweiter Mann, Harry Corbière, ist Schausteller, und sie betreiben noch heute mehrere Fahrgeschäfte. Unter anderem gehört ihnen auch die beliebte Kinder-Rutsche auf dem Münsterplatz, die sie abwechselnd mit einem anderen Anbieter jedes zweite Jahr dort aufstellen – sofern ihre Bewerbung bei Messen und Märkte akzeptiert wird. Denn jeder Schausteller muss sich jedes Jahr neu für einen der begehrten Standplätze an der Basler Herbstmesse bewerben – und es gibt weder Garantien noch Privilegien bei der Vergabe der Plätze.
Da die Corbières nach langen Jahren auf der Messe etwas kürzer treten wollten, verkauften sie ihr grösstes Fahrgeschäft, ein Riesenrad, und übernahmen dafür den Kamelrennen-Spielwagen von einem Freund. So ein Wagen bedeutet immerhin weniger Aufwand als eine grosse Bahn – wobei sie aber, zusammen mit 5 Angestellten, noch immer mehrere Geschäfte gleichzeitig betreuen.
Hier kommt Frau Corbière auch ihre ursprüngliche Ausbildung im kaufmännischen Bereich zu gute. Schausteller müssen Multitalente sein. Sie müssen organisieren können, über gute technische und auch kaufmännische Fähigkeiten verfügen, müssen mit Ämtern und Menschen umgehen können und vieles mehr.
Und man muss, wie eben auch beim Kamelrennen, die Leute animieren können. Ein Geschäft, bei dem nicht ‹rekommandiert› wird, wie es korrekterweise genannt wird, macht weniger Umsatz. Und so musste sie sich angewöhnen, die Rennen lauthals zu kommentieren: «Ich musste lernen, keine Hemmungen zu haben. Ausserdem merkt man einfach, dass man dann mehr Geld verdient, oder! Vor allem an einem Samstag oder Sonntag muss man zu zweit sein, um den Wagen zu bedienen, da hat man kaum Zeit, zur Toilette zu gehen.»
Was sie an der Basler Herbstmesse sehr schätzt, ist das höfliche Basler Publikum. Eine Einschätzung, die viele Schausteller teilen: «Der Zürcher legt einfach sein Geld hin; der Basler sagt ‹Schönen guten Tag – ich hätte gerne zwei Billette, bitte›, und dann sagt er noch ‹Danke› – das macht der Zürcher alles nicht. Andererseits können Sie mit dem Basler schnell Lämpen haben, einfach weil Sie ein Zürcher sind, und Sie etwas gesagt haben, das er nicht goutiert.» Sie schätzt es, dass sie in Basel im Allgemeinen so genommen wird wie sie ist, denn noch immer gibt es sehr viele Vorurteile und Abneigung gegenüber Schaustellern. «Wenn die Leute freundlich sind, ist man auch freundlich und wenn halt jemand unfreundlich ist, wird man halt vielleicht auch unfreundlich. Wir sind schlussendlich nicht irgendwelche Schiessbudenfiguren, sondern Menschen! Ich habe eine Ausbildung und zahle Steuern, genau wie meine Kunden.»